Der Mittelstand zittert
Mehr als dreieinhalb Millionen Unternehmen zählt man in Deutschland zum Mittelstand: das Ingenieurbüro, der Maschinenbauzulieferer, das Kosmetikstudio oder auch die regionale Bäckerei. Es sind die vielen kleinen Firmen, die als Rückgrat der Wirtschaft gelten. Und: die sich aktuell auf Auftragseinbrüche einstellen.
7.000 Stellen wolle man abbauen, verkündete kürzlich der Automobilhersteller VW. Eine Zahl, die Angst und Schrecken verbreitet und den medialen Blick wie so oft auf einen Großkonzern lenkt. Dabei sind diese 7.000 Arbeitsplätze sowie die weiterhin angekündigten Sparmaßnahmen wie etwa die Reduzierung von Automodellen nur die Spitze des Eisbergs: Denn wo ein Großkonzern einspart, können hunderte Zulieferer – von Teilen, aber auch von Know-how und Dienstleistungen – ebenfalls nichts verdienen. Und wo Menschen in kleinen und mittleren Unternehmen nichts mehr verdienen, können sie wiederum weniger konsumieren.
Was genau bedeutet „Mittelstand“?
So simpel, so bekannt. Doch wie genau definieren sich eigentlich Mittelständler? Und worin unterscheiden sie sich von kleinen und mittleren Unternehmen, wenn sie es tun? Das Institut für Mittelstandsforschung (IfM) in Bonn schaut zunächst auf die Struktur: Gibt es bis zu zwei natürliche Personen, die mindestens die Hälfte der Unternehmensanteile halten und zudem der Geschäftsführung angehören? Dann laufen diese Unternehmen als Mittelstand. Diese Unternehmen müssen wiederum nicht zwingend klein sein, auch Häuser mit mehr als 500 Beschäftigten oder 50 Millionen Euro Jahresumsatz werden in Bonn als Mittelstand beforscht. Zu den kleinen und mittleren Unternehmen wiederum zählt man nur die, die diese Mitarbeiter- und Umsatzzahl nicht überschreiten.
Damit ist aber klar: Zum Mittelstand gehören nicht nur die mittelgroßen Industrieunternehmen, die wir so häufig vor Augen haben – sondern auch Anwaltsbüros oder Eiscafés, Werbeagenturen oder Autowerkstätten. Oder auch einige produzierende Unternehmen, die Hidden Champions, die es geschafft haben, in ihrer Marktnische zum Weltmarktführer aufzusteigen. Eben das komplette Rückgrat unserer Wirtschaft. Es sind sogar 99 Prozent der deutschen Unternehmen, die unter die Definition Mittelstand fallen. Diese Unternehmen erwirtschafteten im Jahr 2016 mit rund 2,27 Billionen Euro mehr als ein Drittel des gesamten Umsatzes in Deutschland und beschäftigen rund zwei Drittel aller Sozialversicherungspflichtigen. Sie bilden die meisten Azubis aus und tragen einen beträchtlichen Anteil am Exportvolumen.
Der Export und die Länderrisiken
Trotz aller globalen Turbulenzen durfte die deutsche Wirtschaft seit Jahren eine stabile Auftragslage verkünden. Anders als etwa Spanien oder Italien freute man sich über immer neue, unfassbar niedrige Arbeitslosenzahlen. Die Autoindustrie durchlebt mit dem Dieselgate den größten Skandal aller Zeiten – und konnte dennoch im Jahr 2017 sogar die Kapazitäten erweitern. Die Konjunktur, das Geschäftsklima, die Stimmung in der Wirtschaft: anhaltend hoch, selbst dann noch, wenn in anderen EU-Ländern fast die Staatshaushalte wegrutschen, wenn sich Insolvenzmeldungen aus dem Einzelhandel verbreiten oder eine Dürre die Ernte eines ganzen Jahres schmälert.
Doch nun stehen die Anzeichen auf Krise. Die schwächelnde Weltkonjunktur, der Brexit, die Handelsbeschränkungen durch die USA, die Euro-Krise sowie anhaltende politische Krisenherde machen der deutschen Wirtschaft zunehmend zu schaffen. Der Verband der Maschinen- und Anlagenbauer spricht von 9 Prozent Auftragseinbruch. Die Stahlindustrie sitzt auf vollen Lagern, weil einzelne Waren nicht mehr in die USA geliefert werden dürfen. Der entstehende Preisdruck schwächt die Umsatzzahlen.
Ein weiteres Beispiel: China. Unersättlich schien die Volksrepublik zu sein, vor allem deutsche Autos hatten es der Bevölkerung angetan. Doch inzwischen ist das Know-how transferiert und immer mehr chinesische Fabrikate fahren sowohl bezüglich Design als auch bezüglich Technik auf dem Niveau westlicher Hersteller. Gleichzeitig befeuert eine Quote den Absatz und damit die Entwicklung von Autos mit elektrischem Antrieb. Auch davon ist VW negativ betroffen – und all seine Zulieferer nicht nur in Deutschland gleich mit.
In einer Studie der genossenschaftlichen DZ Bank (PDF) bewerten zwar noch immer 89 Prozent der befragten Mittelständler ihre Lage mit „gut“ oder „sehr gut“, geben aber auch geringere Geschäftserwartungen für das Jahr 2019 an. Auch sie fürchten den Brexit und Auswirkungen der Handelsbeschränkungen und klagen über fehlendes Personal. Dies führt der Studie zufolge auch zu einer größeren Zurückhaltung bezüglich Investitionen.
Welche Herausforderungen zusätzlich bewältigt werden müssen
War es lange vorrangig ein inhaltliches Fragezeichen, ein „Nicht-wissen-wie“, eine Ahnungs- und Planlosigkeit, wie sich Unternehmen in einer digitalen Welt aufstellen müssen, ob und welche Prozesse digitalisiert oder gleich ganz neu erfunden werden sollten, wird die Digitalisierung nun zunehmend als finanzielles Problem wahrgenommen. Eine Studie, die gerade vom Finanzdienstleister Creditshelf und der TU Darmstadt veröffentlicht wurde, berichtet, zwei Drittel der deutschen Mittelständler seien in Sorge, dass die digitale Transformation ihres Betriebs sie finanziell überfordern könne.
Wer sich für digitalisierte, globale Märkte aufstellen will, muss zudem qualifiziertes Personal haben. Und auch da, wir sprachen es bereits an, treibt es den Geschäftsführungen die Sorgenfalten auf die Stirn. Laut Deutschem Industrie- und Handelskammertag (DIHK) fehlen 1,6 Millionen Arbeitskräfte – quer durch alle Unternehmensgrößen und Branchen. 50 Milliarden Euro Umsatz sollen dem Mittelstand damit entgehen. Gut die Hälfte aller für den DIHK-Arbeitsmarktreport 2018 befragten Unternehmen können offene Stellen längerfristig nicht besetzen, durchschnittlich 107 Tage dauere es, bis Personal gefunden ist.
Besonders schwierig wird es, wenn es Unternehmen nicht gelingt, für Arbeitnehmer attraktiv zu sein. Und das trifft laut einer Studie der Agentur Territory offenbar besonders häufig auf Mittelständler zu: Zwar nennen gut ein Drittel der Befragten positive Werte wie Bodenständigkeit und Verlässlichkeit. Viel mehr Menschen kleben aber inzwischen die Etiketten „konservativ“, „wenig zukunftsorientiert“ und „nicht innovativ“ (93 Prozent der Befragten!) an den Mittelstand. Zu den üblichen Branchen- und Länderrisiken kommt nun also auch noch ein dröges Image hinzu. Gleichzeitig können Mittelständler nur dann weltweit erfolgreich sein und sogar zum Hidden Champion aufsteigen, wenn ihr Unternehmen von einer starken, mutigen und hochqualifizierten Abteilung für Forschung und Entwicklung getragen und angetrieben wird.
Der Fachkräftemangel betrifft nebenbei bemerkt auch Österreich: Gerade erst meldet das Beratungshaus EY, dass 83 Prozent der österreichischen Mittelstandsunternehmen keine geeigneten Fachkräfte finden. 40 Prozent der Befragten nannten bereits Umsatzeinbußen als Folge unbesetzter Stellen.
Unsere Empfehlung
Eine Reihe von Problemen also, mit denen der Mittelstand konfrontiert ist – und längst nicht alle können die Unternehmer überhaupt angehen, sind sie doch von der Weltkonjunktur und globalen wirtschaftlichen Entscheidungen und Prozessen abhängig. Dennoch gilt es, die eigenen Stärken auszubauen und zu vermarkten, Arbeitskräfte von den besonderen Vorzügen der kleinen und mittleren Unternehmen nachhaltig zu überzeugen und sich zudem gegenüber finanziellen Risiken abzusichern: Forderungsausfälle und Liquiditätsprobleme können etwa durch eine Kreditversicherung oder Factoring aktiv verhindert werden. Das schafft Spielraum zum Investieren und zeigt Mitarbeitern, dass Sie als Entscheider in einem Mittelstandsunternehmen glaubwürdig an einer innovativen und langfristigen Strategie für die Zukunft arbeiten.