Atradius-Studie: Hohes Zahlungsrisiko und mehr Insolvenzen in der Automobilbranche
Noch gar nicht so lange ist es her, seit die Automobilbranche händeringend nach Personal für die Entwicklungsabteilungen wie für die Produktion suchten. Nun meldet unter anderem Continental einen regelrechten Job-Kahlschlag – 20.000 Stellen sollen abgebaut werden. Und bei den Versicherern gehen täglich Schadensmeldungen ein: Das Ausfallrisiko steigt, Insolvenzen stehen bevor. Eine Studie des Versicherers Atradius beziffert die Risiken.
Die Krise der Automobilindustrie sei im Tagesgeschäft der Risikoabteilungen angekommen, meldete der Kreditversicherer Atradius vor wenigen Tagen. Betroffen sei die komplette Wertschöpfungskette, in der gesamten Automobilbranche. Besonders große Unsicherheiten gingen von Geschäften mit Zulieferern und Autohändlern in Europa und China aus, zeigt die von Atradius vorgestellte Analyse „MarktMonitor Automotive 2019“. Ihr zufolge erhöhen sich die Insolvenzzahlen in den kommenden zwölf Monaten am stärksten in der britischen Automobilbranche (+7 % gegenüber dem Vorjahreszeitraum), gefolgt von China und Italien (jeweils +5 %) sowie Frankreich und Polen (jeweils +3 %). Auch in Deutschland nehmen die Firmenpleiten im Automobilsektor in diesem Jahr um mindestens 2 % zu.
Strukturwandel hängt die Zulieferer ab
„Es sind vor allem die Zulieferer der zweiten und dritten Ebene, die jetzt in Schwierigkeiten sind“, äußert Michael Karrenberg, Regional Director Risk Services für Deutschland, Mittel-, Nord- und Osteuropa sowie Russland. „Immer mehr von ihnen können im derzeitigen strukturellen Wandel der Automobilbranche – hin zu mehr Elektrofahrzeugen, Brennstoffzellenantrieben oder autonom fahrenden Mobilen mit neuer technischer Ausstattung sowie den sich verändernden Verbraucheransprüchen – nicht mehr mithalten.“
Als zentrales Problem sieht Karrenberg die verkürzten Innovationszyklen, denen häufig mehrere Jahre zwischen Auftragserteilung und Lieferung gegenüber stünden. Kleine und mittlere Zulieferer tragen so eine hohe Vorfinanzierungslast, zudem setzen die Vorgaben der Hersteller – beispielsweise flexible Abnahmezahlen von Serienteilen – sie unter Druck. Das Problem liegt auf der Hand: Wie sollen sie vernünftig kalkulieren können, wenn die Hersteller kurzfristig weniger Teile als geplant abnehmen?
Eine Branche unter Druck
Seit Jahren befindet sich die Automobilbranche in einem Flächenkrieg mit mehreren Schauplätzen: hier die Dieselaffäre, dort der hohe Entwicklungsdruck hinsichtlich alternativer Antriebe (Stichwort E-Mobility) oder autonom fahrender Autos und Busse. An wieder anderer Stelle die sinkende Nachfrage in China, die drohenden Fahrverbote nebst wachsender Kritik am Auto insbesondere im urbanen Raum, die Drohungen der USA, deutsche Fabrikate nur noch mit hohen Zöllen oder gar nicht mehr auf den USA-Markt exportieren zu dürfen und der Ruf nach komplett neu gedachten Mobilitätskonzepten, die sich die Branche en passant auch noch überlegen soll.
Freuen konnten sich Hersteller wie Zulieferer in den vergangenen Jahren einzig über die überaus erfolgreichen SUV-Modelle, die konstant steigende Gewinne in die Kassen spülten. Doch auch sie werden von der Öffentlichkeit zunehmend abgelehnt. Die IAA in Frankfurt, internationale Leitmesse der Branche und traditionell ein glitzernder Ort, auf der sich die Branche ausschließlich feiern durfte, musste sich in diesem Jahr weniger Besucher, Schlagzeilen wie „IAA in Frankfurt als ‚Dinosauriermuseum‘“ und „Dilettanten am Steuer“ sowie Proteste vor dem Messegelände gefallen lassen.
Die Risiken deutscher Automobilunternehmen
Prognosen zufolge gehen die weltweiten Verkaufszahlen von Automobilen in diesem Jahr um 5 % gegenüber 2018 zurück. Atradius rechnet daher damit, dass das Zahlungsrisiko in der Branche weiter steigen wird und stufte nun seine Bewertungen für zahlreiche Sektoren in großen Automobilmärkten herab. Besonders eingetrübt hat sich dabei der Ausblick für mehrere große europäische Volkswirtschaften und für China.
Dies betrifft auch Deutschland: Von „durchschnittlich“ auf „erhöht“ steige das Forderungsrisiko. Ursächlich seien die Zulieferer ab der zweiten Ebene, für die man eine erheblich erhöhte Gefahr für Zahlungsausfälle und -verzögerungen sieht. Gerade für Anbieter, deren Schwerpunkt auf Komponenten für Benzin- und Dieselmotoren liegt, dränge die Zeit immer mehr, das Geschäftsmodell anzupassen. Gleichzeitig sei ihre Liquiditätssituation häufig angespannt und es fehle oft an Finanzmitteln, um Innovationen voranzutreiben. In der Folge dürften im deutschen Zuliefererbereich in den kommenden Monaten die Insolvenzzahlen ansteigen. Auch unter den deutschen Automobilhändlern sind die Unsicherheiten gegenüber 2018 größer geworden.
Weiterhin „gut“ sei Atradius zufolge hingegen das Forderungsrisiko der deutschen Automobilhersteller und zahlreicher direkter Zulieferer. Geringere Absätze können sie durch genügend finanziellen Spielraum und ihre starke Marktsituation auffangen. Unsicherheiten entstünden jedoch, sollte es zu US-Zöllen auf europäische Automobilteile, einem weiter eskalierenden Handelsstreit zwischen den USA und China oder einer globalen Rezession kommen.
Die Risiken anderer Länder und Märkte
Atradius liefert auch Zahlen und Bewertungen für andere Länder und Märkte:
Großbritannien
Bei britischen Herstellern und sogenannten Tier-1-Zulieferern – Zulieferbetrieben der ersten Ebene, die direkt an die Automobilhersteller liefern – schätzt Atradius die Gefahr von Zahlungsausfällen und -verzögerungen als insgesamt „durchschnittlich“ ein. 2018 lautete das Rating noch „gut“. Für die Zulieferer unterer Bereiche der Zulieferpyramide – Tier-2 – sowie bei Automobilhändlern müssen Lieferanten jedoch von einem „erhöhten“ Forderungsrisiko ausgehen. 2018 hatte Atradius bei beiden Untersektoren noch ein „mittelmäßiges“ Risiko gesehen. Nachteilig ebenfalls, wenig überraschend: die anhaltenden Brexit-Unsicherheiten, die auf die Konsumstimmung im Vereinigten Königreich drücken. Allein die Zahl der neu registrierten Pkw in Großbritannien sank laut des Europäische Automobilherstellerverbands ACEA im ersten Halbjahr um 6,8 %.
Italien
Auch in Italiens Automobilbranche habe sich der wirtschaftliche Ausblick verschlechtert und die Gefahr von Forderungsausfällen erheblich erhöht. Von Geschäften mit italienischen Herstellern geht laut Atradius derzeit ein „mittelmäßiges“ Forderungsrisiko aus, herabgestuft von „gut“ im Jahr 2018. Im italienischen Zulieferersektor (Tier 1 und 2) ist die Bewertung des Kreditversicherers mit „erhöhtes Risiko“ aktuell sogar um zwei Stufen schlechter als noch im Vorjahr (2018: „gut“). Unverändert gegenüber dem Vorjahr ist die Situation bei den italienischen Automobilhändlern („mittelmäßig“).
Die jüngsten Kostensenkungsprogramme italienischer Autohersteller dürften den Preisdruck auf die Lieferanten zunehmend erhöhen. Der Tier-1-Bereich in Italien gilt zwar als technisch fortschrittlich, die Anbieter verfügen jedoch über verhältnismäßig wenig Eigenkapital und sind in hohem Maße von externer Finanzierung abhängig. Sollte sich die Lage im italienischen Finanzsektor weiter verschärfen, könnte das zum Problem für die Lieferanten werden. Im Tier-2-Bereich werden weitere Anbieter von technisch einfachen Komponenten infolge der sich wandelnden Nachfrage am Markt voraussichtlich künftig nicht mehr bestehen, nachdem es hier bereits in den Jahren 2008 bis 2012 zu Unternehmensaufgaben kam.
Frankreich
Weniger Absatz und zunehmende Zahlungsverzögerungen insbesondere bei kleineren Zulieferern: Auch in Frankreich trübt sich die Prognose ein. Aus Sicht von Atradius dürften dies vor allem kleinere Tier-1-Zulieferer und Tier-2-Unternehmen zu spüren bekommen, deren Umsatzlage sich generell verschlechtert und die dann unter den schrumpfenden Margen besonders zu leiden haben. Die Sparmaßnahmen, die französische Hersteller eingeführt haben, um in neue Technologien zu investieren, könnten den Preisdruck auf einige Subunternehmer in den kommenden zwei bis drei Jahren ebenfalls erhöhen. Das Forderungsrisiko bei Geschäften mit französischen Herstellern und großen Tier-1-Firmen dürfte hingegen erst einmal moderat bleiben, unter anderem deshalb, weil drohende US-Zölle die französischen Marken nur geringfügig beeinträchtigen.
Polen
In Polen ansässige Automobilhersteller und -zulieferer sind in hohem Maße von der Auslandsnachfrage abhängig, allein 2018 generierte die Branche 55 % ihres Umsatzes durch Exporte. Die Produktion der Unternehmen aus diesem Sektor ging 2018 um 4,4 % gegenüber 2017 zurück. Die durchschnittliche Zahlungsdauer in der polnischen Automobilbranche beträgt derzeit 115 Tage. Atradius bewertet das Zahlungsrisiko bei Herstellern in Polen aktuell als „mittelmäßig“ und bei Tier-1- und Tier-2-Lieferanten sowie bei Automobilhändlern als „erhöht“. Unsicherheiten bestehen besonders bei Tier-2-Unternehmen. Aufgrund des hohen Wettbewerbs verfügen sie nur über wenig Verhandlungsspielraum bei ihren Geschäften. Das Gleiche gilt für Autoteile- und Reifenhändler. Die Zunahme von Elektroautos dürfte hier ebenfalls das Forderungsrisiko steigern, da nur wenige von ihnen über die finanziellen Mittel verfügen, Innovationen zu entwickeln, die sich für die neuen Autos verwenden lassen. Ein ungeordneter Brexit und US-Zölle würden die polnische Automobilwirtschaft aufgrund ihrer Exportabhängigkeit ebenfalls hart treffen.
China
Im größten Automobilmarkt der Welt hat sich zuletzt vor allem unter den Automobilhändlern das Zahlungsrisiko signifikant verschlechtert. Nach der jüngsten Analyse bewertet Atradius das Forderungsrisiko bei Geschäften mit ihnen als „erhöht“, heruntergestuft von „gut“ im vergangenen Jahr. Hintergrund sind die zuletzt schwachen Verkaufszahlen (-12,4 % im ersten Halbjahr 2019 gegenüber dem Vorjahreszeitraum), die voraussichtlich bis ins kommende Jahr andauern wird.
Ebenfalls mit erheblichen Unsicherheiten verbunden ist das Geschäft mit chinesischen Tier-2-Zulieferern. Gerade in diesem Segment verfügen kleinere Anbieter sowie Unternehmen im Privatbesitz häufig nur über wenig Eigenkapital, gleichzeitig ist ihr Zugang zu Bankfinanzierungen eingeschränkt. Auch bei kleineren chinesischen Anbietern von Komponenten für Elektro-Autos steige das Forderungsrisiko: Zwar gewinnen Elektro-Autos weiterhin Marktanteile in China, die Gefahr von Überkapazitäten in diesem Bereich steige aber wegen zunehmenden Wettbewerbsdruck durch neue Player am Markt an. Deshalb sei auch mit steigenden Insolvenzzahlen kleinerer Herstellern von E-Mobilitätskomponenten zu rechnen. Bei Lieferungen an chinesische Hersteller und Tier-1-Zuliefer bewertet Atradius das Forderungsrisiko weiterhin als „gut“. Die Auswirkungen des Handelsstreits mit den USA auf die Branche sind derzeit noch moderat. Nach dem schwachen ersten Halbjahr 2019 sieht Atradius die Gefahr von Zahlungsausfällen in der chinesischen Automobilwirtschaft insgesamt als „erhöht“ an.
Neben den hier genannten Ländern geht die Atradius-Studie auch auf die USA, Japan, Mexiko und andere Märkte ein. Sie kann über Atradius angefordert werden.
Unser Fazit
Die Studie des Kreditversicherers Atradius fasst in Zahlen, was wir bereits seit einigen Monaten in unserer täglichen Arbeit beobachten müssen. Seit Jahren bereits zeichnet sich eine Krise der Branche ab, die nicht nur in Deutschland, sondern vielen Volkswirtschaften weltweit einen erheblichen Beitrag zum Bruttosozialprodukt leistet und hunderttausenden Menschen Lohn und Arbeit gibt. Wollen sich etablierte Hersteller nicht einfach nur das Geschäft von neuen Playern aus der Hand nehmen lassen, wie das bereits andere Branchen schmerzvoll erfuhren, müssen sie jetzt innovative, marktgerechte Konzepte vorlegen. Sie müssen sich auf den Erfindergeist und die Ingenieurskunst besinnen, die die Großväter der Branche einst antrieben. Und ihre Buchhalter und Finanzstrategen dazu anhalten, Innovationen zu ermöglichen und Risiken zu schmälern.
Nicht nur Atradius bietet für diese Ziele die richtigen Lösungen, mit denen sich Liquidität schaffen und Zahlungsverlusten entgegenwirken lassen. Sprechen Sie einen der im BARDO registrierten Fachmakler an – wir suchen mit Ihnen gemeinsam die Wege, die Ihr Unternehmen nicht nur bewahren, sondern auch vorantreiben.