42 Prozent mehr Großinsolvenzen in Deutschland
Allein in den ersten neun Monaten des Jahres 2019 waren 27 Unternehmen mit mehr als 50 Millionen Euro Jahresumsatz von einer Insolvenz betroffen. Die Folge: hohe Schäden und drohende Entlassungen.
Ein großer Name schützt nicht davor, dass das Geld ausgeht und der Gang zum Insolvenzgericht bevorsteht. Diese Erfahrung mussten allein von Januar bis September 2019 der Sportartikelhersteller Kettler, das Modehaus Gerry Weber sowie 25 weitere Großunternehmen machen. Satte 42 Prozent mehr als noch im Vergleichszeitraum des Jahres 2018, wie der Kreditversicherer Euler Hermes mitteilte. Die Pleiten des vierten Quartals, Thomas Cook und Condor, sind hier noch gar nicht eingerechnet. Auch die dadurch entstandenen Schäden schnellten in die Höhe: Auf durchschnittlich 339 Millionen Euro pro Pleite-Unternehmen ist die Summe gestiegen, das sind plus 81 Prozent gegenüber 2018.
Wenn große Unternehmen die kleinen in den Abgrund ziehen könnten
Die Folgen für die insolventen Unternehmen, ihre Marken, Werte und besonders auch die Mitarbeiter sind enorm. Wenn große Häuser und traditionelle Marken zerschlagen und aufgeteilt sowie ihre Mitarbeiter entlassen werden, markiert das immer das Ende einer Ära und zieht weitere Verluste mit sich. Zu einem Fass ohne Boden jedoch können die Folgeschäden werden, die bei Zulieferern und Geschäftspartnern auftreten. „Das wirklich dramatische an diesen großen Insolvenzen ist der Dominoeffekt auf viele Unternehmen in der gesamten Lieferkette“, schätzt auch Ron van het Hof, CEO von Euler Hermes in Deutschland, Österreich und der Schweiz, in einer Pressemeldung des Versicherers ein. „Nicht selten werden sie dabei mitgerissen und geraten selbst in den Abwärtssog, der im schlimmsten Fall ebenfalls in der Pleite endet.“
Einen Eindruck davon, wie die Insolvenz eines großen Players eine ganze Branche gefährdet, konnten sich im Frühjahr die Buchhändler und Verlage machen. Als der Barsortimenter KNV bekanntgab, sich am Neubau seines Erfurter Auslieferungslagers übernommen zu haben und zahlungsunfähig zu sein, bangten Verlage um ihre Einnahmen aus dem Weihnachtsgeschäft und Buchhändler um die Lieferung von Novitäten und bestellten Titeln. Als Bindeglied zwischen Verlag und Händler nimmt ein Barsortiment eine zentrale Rolle im deutschen Buchhandel ein. Es sorgt – und das ist weltweit einmalig – dafür, dass quasi jedes lieferbare Buch innerhalb von 24 Stunden an jeden noch so entlegenen Ort Deutschlands geliefert und dort von Kunden gekauft werden kann. Möglich wird dies durch große Auslieferungslager und ein ausgeklügeltes Transportsystem in den für KNV typischen blauen Plastikwannen, in denen die Bücher jede Nacht über deutsche Autobahnen zirkulieren. Nur Apotheken werden in diesem Land noch schneller beliefert. (Dabei handelt es sich, nebenbei bemerkt, bei Büchern um vergleichsweise niedrigpreisige Produkte, deren geringe Margen unter mehreren Parteien aufgeteilt werden müssen.)
Wenn ganze Branchen in Gefahr sind
KNV war zwar nicht der einzige, wohl aber der wichtigste Logistikpartner des Buchhandels. Und wenn dieser wegbricht, dann erschüttert das alle Marktteilnehmer. Selbst Wettbewerber zeigten sich besorgt, allein schon deshalb, weil sie nicht über die Kapazitäten verfügen, um das Geschäft aufzufangen. Für zig Kleinverlage war wochenlang nicht klar, ob ihre Bücher im Handel lieferbar blieben und ob die über KNV eingenommenen Umsätze jemals und in vollem Umfang den Weg auf ihre Konten finden. Das machte wiederum Folgeinsolvenzen wahrscheinlicher: für die Verlage, aber auch Autoren, Satzbüros, Druckereien und sämtliche andere Dienstleister der Buchbranche. Und wo weniger Bücher erscheinen, kann auch weniger verkauft werden – dies wiederum eine Gefahr für den Handel.
Nun ist es bei KNV glücklicherweise gut ausgegangen: Nachdem der Logistiker Zeitfracht das Barsortiment übernommen hatte, liefen die Geschäfte fast nahtlos weiter. Eine Selbstverständlichkeit wiederum ist es nicht, und insbesondere die Unternehmen, deren wirtschaftlicher Erfolg an einen wenigen Abnehmern oder Partnern hängen, kommen nicht umhin, ihre eigene Situation erneut – und in engen Zyklen wiederholt – kritisch zu analysieren.
Wenn Marktteilnehmer nicht mehr gebraucht werden
Schauen wir beispielsweise auf die Automobilindustrie: Inzwischen ist der Beginn der Dieselaffäre einige Jahre her, die Volkswagen AG ist dauerhaft unter medialem Beschuss, muss sich Gerichtsverfahren in den USA aussetzen und weltweit mit der Beschädigung ihrer Marke zurechtkommen. Dennoch entwickelt man in Wolfsburg weiter Autos – und verkauft diese auf dem Weltmarkt. Auch andere Automobilhersteller sind zwar Tag für Tag gefordert, den ökologischen Anforderungen, dem Strukturwandel und einer in vielen Ländern gegenüber Benzin- und Dieselmotoren restriktiveren Gesetzeslage mit Neuentwicklungen im Bereich der E-Mobility, aber auch des autonomen Fahrens sowie komplett neu gedachter Mobilitätskonzepte gegenüberzutreten. Das aber ist etwas, was sie aktiv tun können, und sie arbeiten daran, mit mehr oder minder großem Erfolg. Für manche Automobilzulieferer jedoch ist die Luft dünn: Denn wer jahrzehntelang hochspezialisierte Kleinteile für Verbrennungsmotoren hergestellt hat, wird künftig schlichtweg nicht mehr gebraucht – es lassen sich nun mal keine Bauteile für Verbrenner in Elektroautos unterbringen. Hier sind die Zulieferer selbst gefragt, ihr Unternehmen nebst des herausragenden Know-hows seiner Mitarbeiter neu auszurichten. Und wer gut gewirtschaftet hat, sollte nach Jahrzehnten guter Absätze auch genügend Geld zum Investieren übrig haben. (Wollen Sie mehr wissen? Lesen Sie auch unseren Artikel zur Krise der Automobilindustrie.)
Immerhin: Die Gesamtzahl der Insolvenzen bleibe in Deutschland stabil, schätzt Euler Hermes. Dennoch stünden viele Branchen aktuell vor zahlreichen Herausforderungen, führt Van het Hof fort: „Ein massiver Strukturwandel, häufig durch die digitale Transformation oder Nachhaltigkeitsrichtlinien, beschäftigt fast alle Unternehmen hierzulande. Zudem sehen wir eine schwache Nachfrage sowie teilweise Profitabilitäts- und Liquiditätsprobleme unter anderem in der Automobilindustrie und ihren Zulieferern sowie in der Chemiebranche und dem Maschinenbau. Im Dienstleistungssektor, dem Handel und anderen verbrauchernahen Branchen machen den Unternehmen weiterhin die geringen Margen zu schaffen.“
Was können Sie tun?
Wesentliche Bausteine zur Absicherung gegenüber Forderungsverlusten und Folgeinsolvenzen sind:
- Betreiben Sie ein aktives Forderungsmanagement: Das ist Ihre solide Basis. Prüfen Sie Ihre Außenstände, installieren Sie ein Inkasso- und Mahnverfahren für offene Rechnungen. Nur so können Sie sofort auf Zahlungsverzug reagieren und Ihre Liquidität sichern.
- Analysieren Sie Ihre Risiken: Wie ist die Zahlungsmoral Ihrer Kunden? Gibt es Kunden, deren Zahlungsverhalten sich kontinuierlich über die vergangenen Jahre oder gar abrupt verschlechterte? Arbeiten Sie mit Branchen zusammen, die aktuell besonders unter Druck stehen, wie etwa der Automobilindustrie, aber auch dem Einzelhandel oder der Bekleidungsindustrie? Sind Sie unsicher, holen Sie bei Bedarf Bonitätsauskünfte ein. Und: Sprechen Sie mit Ihrem Kreditversicherungsmakler darüber, wie er und der Versicherer Sie bei der Risikoüberwachung unterstützen kann.
- Sichern Sie sich ab: Wenn noch nicht geschehen, schließen Sie eine Police ab, die bei Forderungsverlusten einspringt. Ihr Makler hilft Ihnen bei der Angebotssuche und -bewertung, der Verhandlung mit dem Versicherer sowie bei und nach dem Vertragsabschluss. Er sorgt dafür, dass Ihre Police maßgeschneidert zu Ihren Bedürfnissen passt.
Und noch? Stellen Sie sich den wechselnden Anforderungen, bleiben Sie innovativ und kreativ – und achten Sie auf Rücklagen, um Pläne umsetzen können und Durststrecken überwinden zu können. Ein in guten Zeiten angelegter Puffer sei es, von dem aktuell viele Unternehmen zehren können, sagt Ron van het Hof. „Die deutsche Wirtschaft zeigt sich angesichts der zahlreichen Unsicherheiten und Risiken weiterhin relativ robust“, erklärte der Euler Hermes-CEO. Und er hat noch eine gute Nachricht: die Binnennachfrage – insbesondere von Seiten des Konsums und den Bauinvestitionen – gebe positive Impulse.